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         In der Taunus-Galerie
         2013

Künstlerbücher & Poesie

Texte

Katinka Fischer, Wiesbaden

Brigitte Dirting: Formen und Positionen

Zur Ausstellungseröffnung am 7. November 2013
Taunus-Galerie im Landratsamt Bad Homburg

„Ich zeichne mit dem Pinsel“. Mit diesen Worten hat Brigitte Dirting vor längerer Zeit einmal das Wesen ihres künstlerischen Werks auf den Punkt gebracht. Gemeint hat sie damit, dass die Linie, der schnelle, spontane und nicht zurückzunehmende Strich in ihren Gemälden eine mindestens ebenso zentrale Rolle spielt wie die für diese Gattung charakteristischen Merkmale Farbe und Fläche. Ihre jüngsten Arbeiten zeigen, dass sich dies inzwischen zwar verändert und sie zu konkreteren Formen, gesetzteren Linien und flächigerer Ausdrucksweise gefunden hat. Noch immer aber bestimmen Umrisse und Konturen ihre Bildsprache, scheinen ihre Leinwände den Begriff der Zeichnung zurückzuführen auf das Zeichen, das seine Bedeutung dadurch erhält, dass es etwas be-zeichnet und einem Gedanken, einer Idee, einer Vorstellung Gestalt gibt. Mehr als Zeichen zu setzen, geht es der Künstlerin darum, Zeichen zu sichern. So folgt sie verborgenen Spuren und Strukturen, die sie einerseits in der Natur findet, die aber auch aus einer eigenen geistigen Welt zu stammen scheinen und legt sie dann frei - auf der Leinwand, auf Papier oder im dreidimensionalen Objekt. Dirtings künstlerische Semiotik schließt auch das Sprach-Zeichen ein. So ist das Poetische, das ihre Arbeiten stets umgibt, nicht zuletzt motiviert von literarischer Reflexion und der Auseinandersetzung mit Prosa, Lyrik und Philosophie von Autoren wie Paul Celan, Gottfried Benn, Ingeborg Bachmann oder Fernando Pessoa.

Seit fast 30 Jahren arbeitet Brigitte Dirting als Künstlerin, stellt seither regelmäßig, bisweilen auch im Ausland aus und gehörte lange Zeit zu der Wiesbadener Künstlerinnengemeinschaft „Die Halle“. Ihre aktuelle Schau ist keine Retrospektive im eigentlichen Sinne, wiewohl die Ausstellungsstücke einen Querschnitt durch die vergangenen zehn Jahre ihres Schaffens zeigen.

Zunächst einmal fällt dabei die Arbeit in Serien auf, die sich unabhängig vom jeweiligen Medium als roter Faden durch Dirtings gesamtes Werk zieht und mit der sie sich einreiht in die beste Gesellschaft der künstlerischen Moderne. Eingeläutet hat sie Monet, als er Ende des 19. Jahrhunderts seine berühmten Getreideschober malte und festhielt, wie sie sich unter wechselndem Licht veränderten. Zu Reihen fügen sich auch Jawlenskys Aussichten aus seinem Schweizer Arbeitszimmer oder seine immer abstrakteren Köpfe. Einem Pop Artisten wie Andy Warhol schließlich ging es in seinen Zeitungs- und Werbebildern ebenfalls darum, durch Variation eines Themas dessen Tiefe auszuloten bzw. zu untersuchen, wie sich die Wahrnehmung eines Bildes durch Wiederholung verändert.

Brigitte Dirtings Serien-Thema sind Zeichen, Spuren und Strukturen, die im weitesten Sinne zu Landschaften gehören. Davon zeugen Horizontlinien, architektonische Details und Anmutungen einer vom Wind zerzausten, von Sonnenlicht beschienenen oder gewitterwolkenverhangenen Natur. So abstrakt diese Landschaften bisweilen auch erscheinen, bilden sie doch einen realen Bezugspunkt für die rätselhaften Zeichen, die in darunter und dahinter liegenden Räumen verborgen sind und die die Künstlerin fragend und tastend, aber mit stets sicherem Gespür zutage fördert. So wird der künstlerische Schaffensprozess zu einem Suchen und Finden von Formen, Proportionen und Raum. Erst der Arbeitsprozess als solcher führt zur endgültigen Form.

Zwei im Jahr 2001 entstandene Leinwände benennen den chronologischen Ausgangspunkt des Rundgangs durch diese Ausstellung. Zugleich markieren sie den Abschluss einer Werkphase sowie einen künstlerischen Wendepunkt, der sich im Titel „Transformationen“ schon anzukündigen scheint. Sie zeigen abstrakte Farbformationen aus Gelb, Schwarz und Spuren von Braun, die vom Weißraum der Leinwand dominiert werden. Die Farbe hat Dirting zwar mit breitem Pinsel und in gestischen Schwüngen kraftvoll auf dem Bildgrund verteilt, aber nie flächig, sondern fein nuanciert, geradezu wolkig und von so transparenter Zartheit, dass man auch an diesen Stellen noch eine Ahnung vom Weiß des Bildgrunds hat. Überzogen sind diese unterschiedlich dichten Farbansammlungen von schwarzen Linien, die ein Netz oder Gitter bilden. Zwar lassen sie sich in geometrischen Kategorien fassen, fügen sich mehrere Geraden zu Winkeln, Rechtecken, Quadraten und Rhomben. Weil ein Lineal aber nicht zu Dirtings Werkzeugen gehört, lässt diese Gesetztheit die Hand der Künstlerin erkennen, fehlt ihr deshalb die minimalistische Strenge. Nihct der Kontrast zwischen Freiheit und Planung ist das Thema, sondern das organische Zusammenspiel aus Leinwand, Farbe und Linie.

Nach und nach hat sich die Geste dann aus Dirtings Bildern verabschiedet, ist immer reduzierteren, überlegteren und klareren, deutlich meditativen Setzungen gewichen. Nun gewinnt die deckende malerische Fläche an Bedeutung, Linien und Konturen werden klarer und strenger, die Farbe leuchtet stärker. Zwischen Farbe, Form und Fläche ist eine neue „Balance“ entstanden, die einer zwölfteiligen Serie aus dem Jahr 2007 dann auch den Titel gibt. In dem Begriff der Balance klingt die Versöhnung von Gegenpolen wie Spannung und Ruhe, Dynamik und Kontemplation, Dichte und Transparenz an. Insofern beschreibt dieser Titel auch Dirtings eigenes, gleichzeitig emotionales und reflektiertes Vorgehen und wird damit zum Paradigma ihres gesamten Schaffens.

Dass sich die Künstlerin stets fragt und genau prüft, „was auf dem Blatt stehen kann“, wird jetzt noch viel offensichtlicher. Schon früher ist die weiße Leinwand nicht einfach nur Bildgrund gewesen. Sehr viel klarer behauptet sie jetzt aber ihren Rang als eigene Dimension. Auf besonders raffinierte Art zeigt sich das in der schlicht „mit rot“ betitelten Serie. Hinter dem weißen Raum, auf dem rote Punkte und Linien zu Verweilpunkten für das Auge werden und durch das Bild führen, verbirgt sich schwarzer Karton, den Dirting aber nicht einfach weiß grundiert, sondern malerisch bearbeitet hat.

In einem ganz wörtlichen Sinn ist Brigitte Dirting nicht zuletzt eine Seherin, die Dinge sieht, für die das auf Ökonomie getrimmte Auge in der heutigen reizüberfluteten Zeit buchstäblich keinen Sinn mehr hat. So nimmt die metaphorische Spurensuche, auf die sie sich als Malerin und Zeichnerin begibt, in ihren Objekten konkrete, dreidimensionale Form an. Auf Reisen in ferne Länder, unter afrikanischer Sonne oder vor der eigenen Haustür am Biebricher Rheinufer durchkämmt ihr Blick die Umgebung, stößt auf Treibgut, rostige Metallteile oder knorrige Wurzeln. Diese Fundstücke behandelt Dirting entweder wie Ready Mades und präsentiert sie, wie sie sie fand. Oder sie befestigt sie auf Objektträgern und schafft damit eine Verbindung zum Tafelbild. Beides zeugt vom Gefallen an der Einfachheit, von Sinn für Vergänglichkeit und Sensibilität für ein Material. Hinzusehen, zu entdecken, sichtbar zu machen, ist Teil ihres künstlerischen Denkens. Es interessiert sie die Struktur und die natürliche Grafik des Materials, die sie in perforiertem Metall, verbogenen Drähten oder einem Stück Fliegendraht entdeckt, das einmal zu einem Haus in den USA gehörte, während ein „Torso“ aus rostigem Metall aus den Sylter Dünen stammt. Dabei interessiert sich Brigitte Dirting nicht etwa für natürliche Schönheit. Für einen einfach nur organischen Ast etwa könnte sie sich kaum erwärmen. Aufmerksam wird sie stattdessen auf die Dinge, auf denen zufällige oder bewusste Eingriffe Spuren hinterlassen haben, die verbogen oder rostig sind, Kerben haben oder auf denen eine andere Form vorangegangener anonymer Gestaltung sichtbar wird.

Seine womöglich dichteste Form nimmt Brigitte Dirtings serielles Arbeitsprinzip in ihren Künstlerinnenbüchern an. Die Skizzen, kleinen Zeichnungen oder Collagen, mit denen sie gefüllt sind und dadurch auch zu Objekten werden, sind vor allem auf Reisen entstanden. Es sind bildnerische Tagebücher, in denen sie auf Eindrücke reagiert und sie verarbeitet. Bisweilen reichen sogar sparsamste Mittel, um erkennen zu können, wo sie sich dabei aufgehalten hat. So führen gelbe Horizonte und eine selbst in der abstrakten Darstellung spürbare Trockenheit Namibia plastisch vor Augen. Aus Australien stammt die Rinde, die Eukalyptus-Bäume abgeworfen haben und die Dirting gesammelt hat. In kleine Teile gerissen und geschnitten gehören sie nun zu einer Zeichnung. Reste bleiben keine Reste, sondern wandeln sich in Dirtings Hand zum Kunstwerk. Was dienende Funktion hatte, wird nun erhaben. Das gilt sogar für den gezahnten Papierstreifen, der in der Metallspirale eines Blocks hängen bleibt, nachdem man eine Seite ausgerissen hat. Was anderswo bestenfalls zum Altpapier kommt, bestimmt nun ein künstlerisches Blatt.

Insgesamt etwa 40 solcher Bücher hat Brigitte Dirting im Lauf der Zeit gefüllt. Streng genommen handelt es sich bei den Heften, Kladden, Notiz- und Skizzenbüchern in allen nur denkbaren Qualitäten, Größen und Stärken auch um Fundstücke, die sie unter anderem auf ihren Reisen entdeckt hat oder die ihr im eigenen Haushalt in die Hände gefallen sind. Nun bilden sie einen der Werkstränge, wie sie für Dirtings Arbeit neben den Serien ebenfalls typisch sind und die – anders als etwa bei Gerhard Richter - aber nicht isoliert voneinander wachsen, sondern die eine meditative Ruhe und große innere Stärke verbindet. Sie runden ein vielgestaltiges und vielschichtiges Werk ab, dessen konsequente Entwicklung in der Bad Homburger Taunus-Galerie greifbar wird.