Ulrich Meyer-Husmann, Kunsthistoriker, Mainz
Brigitte Dirting ist Malerin und Zeichnerin. Einerseits bestimmen Farben
ihre Bilder, wobei die Wahl der Farben eine Vorliebe für Erdfarben
verrät. Blau und Grün treten hinzu. Rot dagegen fehlt. Bestimmend
für die Bilder ist keine laute Farbigkeit, sondern eher eine verhaltene.
Fast alle Farben sind durch Weiß gebrochen.
Andererseits kommt zur Farbe die Linie, allerdings nicht im Sinne einer
strengen Geometrie, sondern eher als zartes Geflecht von dünneren und
kräftigeren Pinselspuren.
Die Überlagerungen der Farbflächen und das über den Farbflächen
liegende Geflecht aus Linien leistet Zusätzliches, es entsteht Raum,
nicht als Konstruktion, sondern aus dem tatsächlichen Übereinander
von Flächen und Linien.
Weil das meist eindeutig ablesbar ist, ist auch der Prozess des Machens
oft noch nachvollziehbar, wo welche Fläche eine andere überlagert,
wo Linien in die Flächen hineinragen oder sich selbst überschneiden.
Ausgangspunkt ist die Natur. Anregungen suche und finde ich unterwegs
in der Natur, wie Brigitte Dirting betont. Innerhalb der Kunst ist
dieses Verhältnis von Kunst und Natur ein altes Thema. Seinen Schwerpunkt
hatte es zunächst im 19. Jahrhundert. Im Zuge der Verstädterung
und Industrialisierung wuchs gleichzeitig der Drang nach draußen,
zurück in die Natur, wurde allerdings auch schnell trivialisiert, man
denke nur an Caspar David Friedrich und die Schallplattenhüllen. In
der Stuttgarter Ausstellung von 1977 über Naturbetrachtung und Naturverfremdung
hieß es: Jede Form der Naturbetrachtung ist eine Form der Naturverfremdung.
Das gilt auch für die Bilder von Brigitte Dirting. Ich möchte
das an dem Bild Sommertag belegen: Ausgangspunkt ist die Natur, allerdings
ist damit kein bestimmter Ort gemeint, das Bild ist von daher auch nicht
vor der Natur gemalt, sondern es ist ein Natur Eindruck, genauer ein Farb
Eindruck. Das eigene innere Reagieren steht dabei im Vordergrund. Damit
liegt die Betonung auf dem Subjektiven.
Das ist sicher ein Stück romantisches Erbe: Natur wird zum Erlebnisfeld
des eigenen emotionalen Subjekts. In den Worten von Caspar David Friedrichs: Jedem
offenbart sich der Geist der Natur anders, darum darf auch keiner dem anderen
seine Lehren und Regeln als untrügliches Gesetz aufbürden.
Keiner ist Maßstab für alle, jeder nur Maßstab für
sich und die mehr oder weniger ihm verwandten Gemüter
(Hamburg S.83).
Brigitte Dirting drückt das subjektive Moment noch etwas anders aus: Ich
möchte in mir selbst eine Form lesen. Das bedeutet nun nichts
anderes, als dass der Blick von der Natur weg auf das eigene Innen gerichtet
wird, und in dem ist es auch ein Stück Suche nach dem Selbst.
In seinem Aufsatz Über Künstler und Kunst äußert
sich Fernando Pessoa über das Verhältnis von Künstler und
Natur. Und ich zitiere diesen Autor besonders gern, weil ich weiß,
welche Bedeutung er für Brigitte Dirting hat. Die Natur bringt
bestimmte Künstler zu einem Zweck hervor, der dem Künstler selbst verborgen
bleibt, aus dem einfachen Grunde, weit er nicht die Natur ist. Je mehr er
seiner Kunst einen Zweck mitgeben will, desto mehr entfernt er sich von
dem wahren Ziel, das er nicht kennt, das die Natur jedoch in seinem Innern,
dem Geheimnis seiner ursprünglichen Persönlichkeit und seiner
instinktiven Inspiration verborgen hat
(S. 10).
Brigitte Dirting würde den Begriff der Inspiration wohl eher durch
den der Imagination ersetzen, so auch der Titel eines Bildes. Imagination
bedeutet ja so viel wie Einbildungskraft, Phantasie oder auch bildhaftes
Denken.
Ich denke, jetzt können wir die verschiedenen Aspekte zusammenfügen:
Die Natur ist Impulsgeber, die eigene ausgeprägte und geschulte Sensibilität
wird zum Resonanzboden, der Blick nach Innen schafft eine erste Vorstellung.
Dann beginnt die Transformation. Dabei wird der Prozess des Machens für
die Künstlerin zur entscheidenden Phase auch im Sinne von Eigenerfahrung
und Lebensintensität.
Im Wechselspiel von Intuition und Reflexion beziehungsweise Rationalität
und Spontaneität, so Brigitte Dirting, ist es auch ein Wechselspiel
von Abstraktion und Konkretion, Abstraktion im Abheben von der Natur und
Konkretion in der Verdichtung von Farbflächen und Linien.
Das Offenhalten der Bilder ist für Brigitte Dirting dabei kein Selbstzweck,
es ist die Scheu vor dem vermeintlich Fertigen, dem Abgeschlossenen und
soll anderseits dem Betrachter die Möglichkeit zur eigenen Assoziation
belassen.
Gilt das Interesse den kleinen Dingen der Natur, so ist die Sensibilität
des Sehens nach Aussage der Künstlerin besonders geschärft für Zeichen
und Spuren der Zeit und Vergänglichkeit. Auch das betont
die Verbindung zur Romantik. In der fragilen Schönheit des Gegenständlichen
schimmern der Verfall und damit das Motiv des Todes hindurch. Es ist die
immer wieder faszinierende Verschlingung von Schönheit und Tod.